Am 28.05.2022 schrieb die von mir sehr geschätzte Jasmin Schreiber in ihrer Newsletter-Kolumne Schreibers Naturarium einen Beitrag mit dem Titel “Bienenschutz ist Greenwashing”. Natürlich las ich diesen Beitrag aufmerksam, jedoch mit stetig wachsender Empörung. Schnell wurde mir klar: darauf muss ich reagieren, muss etwas dazu schreiben.

Will ich mich wirklich mit einer studierten Biologin anlegen? Ja. Nein. Jein.
“Anlegen” will ich mich nicht mit ihr. Ich habe lediglich eine andere Meinung. Teilweise.
Vielmehr möchte ich meine Meinung und meine Gedanken zu dem Thema äußern, ohne Jasmin ihre Meinung abzusprechen.
Zudem denke ich, dass eine Person nicht automatisch im Recht ist, nur weil sie studiert hat.
Präambel
Ein paar kleine Vorbemerkungen möchte ich auch noch einschieben.
Nach meinem Entschluss, eine Erwiderung zu schreiben, habe ich den Beitrag noch mehrmals mit einer möglichst neutralen Einstellung gelesen, sodass sich meine erste, stark emotional eingefärbte Reaktion bereits deutlich neutralisiert hat. Dennoch kann es sein, dass einige Aussagen im folgenden Text von einer gewissen Emotionalität getragen sind. Ich bitte das zu entschuldigen, ich bin schließlich auch nur ein Mensch.
Ich werde hier nicht auf Studien verweisen. In meinen Recherchen über die Imkerei, auch unabhängig von der Kolumne, habe ich viel gelesen und viele Informationen eingesaugt. Sehr viel. Vielviel. Allerdings habe ich vor allem für mich recherchiert und ich muss mir selbst im Allgemeinen keine Quellenangaben nachweisen. Das alles jetzt erneut zu recherchieren fehlt mir schlicht die Zeit.
Kritik an der Kritik — Kritikkritik
Die Kolumne beginnt mit einer Kritik an “Imkerei-Unternehmen”, welcher ich zu 100 % zustimme. Abgesehen von der Zuordnung der hier mutmaßlich gemeinten Unternehmen zur Imkerei, handelt sich meiner Meinung nach doch vielmehr schlicht um Unternehmen die an und durch die Biene oder an Imkern Geld verdienen wollen, ohne tatsächlich eine wertige Gegenleistung zu bieten. Imkereibedarf-Handel nehme ich hier ausdrücklich aus. Auch die Unternehmen, welche die geschmacklose Pampe, zusammengemischt aus Bienenerzeugnissen verschiedener, oft nicht genannter Herkunftsländer und schlimmstenfalls anderen Substanzen, in Supermärkten als Honig verkaufen, haben mit Imkerei so viel zu tun wie ein Fisch mit dem Fahrradfahren.
Leider holt Jasmin im Anschluss zu einem kraftvollen Rundumschlag gegen alle Imker:innen und sogar die Honigbiene selbst aus. Die am Schluss des Textes eingeschobene Relativierung, dass es in ihrer Brandschrift nicht
um Tante Erna, die in ihrem wild blühenden Garten einen Bienenstock hat
geht, kommt zu spät und zu halbherzig. Schließlich imkert ebenjene Tante Erna mit hoher Wahrscheinlichkeit nach den konventionellen Methoden der Imkerei. Wenn man zudem bedenkt, dass in Deutschland ca. 96 % der Imker ebensolche Hobbyimker wie Tante Erna sind, ergibt sich eine recht kleiner Anteil der Imker (nämlich Nebenerwerbs- und Berufsimker, bzw. die Industrie), der sich von Jasmins Beitrag angesprochen fühlen sollte. Es wäre vielleicht hilfreich gewesen, den Text explizit an ebendiese Zielgruppe zu richten und eine eventuell notwendige Klarstellung an den Anfang zu setzen. Mir hätte das auf jeden Fall einige Aufregung erspart.
Der armen Honigbiene dagegen werden ihre evolutionär erworbenen Fähigkeiten zum Vorwurf gemacht, ob es nun ihre perfekte Organisation, die Völkerbildung oder gar die fehlende Spezialisierung auf bestimmte Pflanzen ist. Schlussfolgerung aus dieser vermeintlichen Überlegenheit scheint zu sein, dass ein Aussterben der Honigbiene akzeptabel, ja fast erwünscht sei, damit die anderen Insekten überhaupt eine Überlebenschance haben. Starker Tobak von einer Biologin, die sich dem Tierschutz verschrieben hat. Grund genug, sich die Situation genauer anzusehen.
Die Honigbiene an sich lebt seit mindestens 30 Mio. Jahren auf diesem Planeten. In dieser Zeit hat sie sich entwickelt und perfekt an eine Nische im Ökosystem angepasst. Dann kam der Mensch und hat, wie das so seine Angewohnheit ist, in die Natur eingegriffen, um sie sich nutzbar zu machen. Die Biene wurde gezüchtet, insbesondere mit dem Ziel einer höheren Honigproduktion, zuletzt auch auf Sanftmut und Schwarmträgheit. Das ist, aus Sicht der Natur gesehen, unschön, jedoch kein Grund, die Honigbiene aus der Welt zu entfernen. Würden wir alle Tiere und Pflanzen aus der Welt entfernen, bei denen der Mensch durch Züchtung in die natürliche Entwicklung eingegriffen hat, hätten wir ein ziemliches Problem. Das heutige Getreide zum Beispiel hat nichts mehr mit dem Urgetreide zu tun, das es mal gab. Sämtliche Nutztiere würden verschwinden. Der Hund, das allseits geliebte Haustier, ist übrigens auch nur eine Züchtung des Menschen mit dem Ziel der Nutzbarmachung im Hinblick auf verschiedene Aufgaben. Warum wurden eigentlich Katzen gezüchtet? Vielleicht für die Mäusejagd auf Bauernhöfen. Auf jeden Fall nicht als Schmusetier. Können die also weg? Schließlich greifen Katzen durch die Jagd ja in die Natur ein.
Ein Teil der Argumentation hat mich besonders gestört. Es handelt sich um das Bild der armen, unterlegenen Wildbiene, die sich an der Blüte nicht gegen die viel größere Honigbiene durchsetzen kann. Dazu muss ich zunächst mit einem scheinbar vorherrschenden Vorurteil aufräumen, denn:
Die Honigbiene an sich ist NICHT AGGRESSIV
Die Honigbiene ist defensiv und zwar vor allem hinsichtlich ihres Volkes und dessen Behausung, untergeordnet auch hinsichtlich ihres eigenen Lebens.
Grundsätzlich ist die Honigbiene ein kooperatives Wesen, sowohl intern als auch extern. Die Honigbiene lebt in freier Wildbahn als Teil eines komplexen Ökosystem, in dem sich die Tiere und Pflanzen gegenseitig nützen. Das Leben der Biene ist nicht auf Fressen und Gefressenwerden ausgelegt. Das kann man, bei geduldiger Beobachtung, auch an den Blüten feststellen. Eine Biene lässt sich bei der Nektar- und Pollenaufnahme nicht stören, weder von anderen Insekten noch vom Menschen. Oft genug kann man neben der Honigbiene noch andere Insekten an der selben Blüte sehen. Bei entsprechender Vorsicht kann man eine Honigbiene von einer Blüte zur anderen versetzen, ohne dass die Biene sich wehrt. Es gibt keinen martialischen Kampf um den Nektar und die Pollen der Blüten. Eine Konkurrenz besteht sehr wohl, das kann nicht bestritten werden. Es ist jedoch in Betracht zu ziehen, dass jede Honigbiene eine bestimmte Blüte nur ein einziges Mal besucht. Da die Sammlerbienen auch nicht alle gleichzeitig ein Blütenfeld besuchen, sollte auch noch einiges an Nahrung für andere Insekten übrig bleiben. Des Weiteren gibt es bestimmte Blüten, welche die Honigbiene aus verschiedenen Gründen gar nicht besucht. So hat sie zum Beispiel im Vergleich zur Hummel (ich mag ja die englische Bezeichnung “Bumble Bee”, das klingt irgendwie schön) einen kürzeren Rüssel, sodass sie in manchen Blüten gar nicht an den Nektar kommt. Ja, in der Natur kommt es manchmal eben doch auf die Länge an.
Ich habe mir auch das verlinkte Paper der Studie zur Auswirkung von Honigbienen auf die Wildbienen-Population im Münchner Stadtpark genau durchgelesen. Das ist eine sehr interessante Studie, jedoch für mich (und auch für die Autoren der Studie übrigens) kein aussagekräftiger Beweis, dass die “gemanagte” Honigbiene die Wildbiene an den Rand der Ausrottung bringt. Dafür hat die Studie in meinen Augen zu viele Mängel:
- Die Fragestellung ist nicht neutral, sondern lässt bereits die Vermutung durchscheinen, dass die Honigbiene die Wildbiene verdrängt. Das beeinflusst oft die Interpretation der erhobenen Daten.
- Der Betrachtungszeitraum ist mit zwei Jahren sehr kurz. Innerhalb dieser zwei Jahre können sich andere relevante Faktoren geändert haben, die eine Veränderung der beobachteten Zahlen bewirken
- Die Zahl der Beobachtungsstunden ist unterschiedlich. Die Vergleichbarkeit der Zahlen leidet darunter.
- Äußere Faktoren wurden nicht benannt. Faktoren wie zum Beispiel das Wetter, Parkbesucher, Luftqualität etc. können sehr große Auswirkungen unterschiedlicher Art auf die verschiedenen Insektenarten haben.
- Cherry-Picking Betrachtet man die mitgelieferten Tabellen kann man sehen, dass an manchen Blumenarten in 2020 sogar mehr Wildbienen als in 2019 gezählt wurden. An mindestens einer Blume stieg sowohl das Aufkommen der Honigbienen als auch das der Wildbienen.
Nichtsdestotrotz ist die Studie interessant und sollte der Ansatzpunkt für weitere Studien sein.
Die Behauptung, ein Aussterben der Honigbiene werde keinen negativen Effekt auf die Bestäubung haben, kann ich nicht nachvollziehen. Honigbienen sind in hohem Maße blütenstet, was den Pflanzen aufgrund höherer Effizienz bei der Fortpflanzung zum Vorteil gereicht. Die Honigbiene ist das einzige bestäubende Insekt, das als Volk überwintert. Das führt dazu, dass sie auch nahezu die einzigen Insekten sind, die Frühblüher quantitativ wirksam bestäuben können. Die Hummel kann aufgrund höherer Kälteresistenz zwar früher fliegen, jedoch nicht in so großer Zahl, da sie solitär überwintert.
Eine ihrer wichtigsten Eigenschaften ist in meinen Augen die fehlende Spezialisierung auf bestimmte Blüten. Der Honigbiene als Generalistin ist es egal, welche Pflanze irgendwo steht, solange es Nektar gibt, an den sie auch gelangen kann (der Rüssel, der geneigte Leser erinnert sich). Gerade im Hinblick auf bisher hier nicht heimische Pflanzen, die im Rahmen des Klimawandels hier ansiedeln oder angesiedelt werden, könnte diese Eigenschaft noch wichtig werden.
Zumindest in Europa haben wir aktuell die Situation, dass die Honigbiene ohne die Imker mit hoher Wahrscheinlichkeit schon längst ausgestorben wäre. Und zwar nicht wegen der Varroamilbe oder dem Töten von wilden Konkurrenzvölkern durch Imker in früheren Zeiten. Ursachen für diesen Zustand sind vor allem Land- und Forstwirtschaft, so wie es von Jasmin für die Wildbiene als Ursache ihrer Gefährdung benannt wird. Die Forstwirtschaft hat auch der Honigbiene ihre natürlichen Behausungen, insbesondere Baumhöhlen, genommen. Die Landwirtschaft hat durch Rodungen den Lebensraum verkleinert und anschließend durch den Einsatz von Unmengen Chemie ihr Übriges getan.
Es wird geschätzt, dass die derzeit wild lebenden Honigbienenvölker tatsächlich allesamt verwilderte Völker aus Imkereien sind.
Ein Vorschlag
Ich bin ebenfalls der Meinung, dass das unreflektierte Aufstellen von Unmengen Bienenkästen kein Naturschutz ist, nicht mal dem Bienenschutz hilft das.
Ein Leitsatz á la “Bienenschutz ist Naturschutz” ist jedoch als Aufhänger für eine allgemeine Kampagne zum Insektenschutz hochgradig geeignet. Was schützt denn (Honig-)Bienen? Mehr Artenvielfalt bei Blühpflanzen. Generell mehr Blühpflanzen, mehr “Grün”, also auch das Verbot von diesen überaus hässlichen Steingärten und die Verpflichtung für Landwirte zum Anlegen von Blühstreifen und Ausgleichsflächen. Verbot von Pestiziden. Es gibt so Vieles, was da getan werden kann und vielfach auch bereits getan wird. All diese Maßnahmen helfen eben auch allen anderen Insekten, da sie das Nahrungsangebot erhöhen und Gefährdungsfaktoren minimieren. Die Honigbiene ist für die breite Bevölkerung nunmal ein besseres Zugpferd einer solchen Kampagne als – was weiß ich – die Florfliege zum Beispiel. Mit den meisten Insekten verbinden die Menschen nichts, zumindest nichts Positives. Die Honigbiene aber erzeugt Honig, den viele Menschen gerne genießen. Das sollte man einfach nutzen und sich darüber freuen, dass auch alle anderen Insekten von schützenden Maßnahmen profitieren.
Was die Imker und ihre Betriebsweisen angeht, halte ich das für eine Generationenfrage oder eher noch eine Frage der Zeitspanne, die ein Imker schon imkert. Die älteren, erfahrenen Imker haben die konventiellen Verfahrensweisen gelernt (Ausnahmen gibt es auch hier). Jüngere Imker sind da häufig offener und interessiert an naturnaher oder natürlicher Bienenhaltung und Ähnlichem. Generell sind jedoch alle Imker daran interessiert, ihren Bienen ein bienen- und damit insektenfreundliches Umfeld zu bieten.
Vielleicht sollte man das nutzen und versuchen, diese Imker noch stärker ins Boot zu holen, anstatt einfach sinnlos auf sie einzuprügeln. Letzteres drängt die Imker nämlich automatisch in eine Verteidungshaltung. Etwas Gutes kann dabei nicht entstehen. Nur gemeinsam können wir etwas für ALLE Insekten erreichen.

Epilog
So, wie die Honigbienen kooperative Wesen sind, sollten auch die am Insektenschutz interessierten Menschen miteinander kooperieren, um das gemeinsame Ziel zu erreichen. Ich jedenfalls werde im Rahmen meines neuen Hobbys alles in meiner Macht stehende tun, damit alle Insekten in meiner Umgebung so gut leben können, wie es möglich ist.
Ich verstehe die Verärgerung von Jasmin, denn die Kampagne zur Aufstellung von Bienenkästen, die sie erwähnt, ist wirklich...Mist. Diese Verärgerung auf alle Imker und die Honigbiene selbst auszudehnen ist es jedoch, mit Verlaub, auch.
Nichtsdestotrotz hatte Jasmins Beitrag schon einen positiven Effekt. Ich habe ihn gelesen, während ich mich gerade mitten in meinen Recherchen zum naturnahen Imkern befand. Schlussendlich hat der Text wenigstens ein kleines bisschen mehr dazu beigetragen, dass sich mein Entscheidung für ein naturnahes Imkern gefestigt hat.
Daher verbleibt mir am Ende zu sagen: Vielen Dank, Jasmin, für diesen Text.
Wer Interesse hat, mehr von Jasmin Schreiber zu lesen, sollte sich in jedem Fall ihre Kolumne ansehen:
Schreibers Naturarium
Wer ihr lieber zuhören möchte, sollte mal in ihren wunderbaren Podcast reinhören:
Bugtales.fm
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