Sofasophia schreibt

Unzusammenhängendes, das vielleicht doch zusammenhängt. Wie alles im Leben. Irgendwie.

Kapitel zehn

Sie war, wie sie schon immer gewesen war. Immer schon hatte es wehgetan, dieses Sie-selbst-Sein. Sie hatte schon als Kind gewusst hatte, dass es dahinter mehr gab, mehr Wissen, mehr Dinge, als es auf den ersten Blick schien. Welten, die sie nie erreichen würde. Erkenntnisse, die sie nie verstehen würde. Dinge, die zu groß für sie waren.

Der Konjunktiv mit seinen Versprechungen war Freundin und Feindin zugleich. Ihre Feind:innen und Freund:innen lebten mit ihr unter einer Haut. Fühlen zu können war eine. Nicht wegsehen zu können eine andere. Freundin und Feindin. Sie selbst war es, die mal Geh weg! und mal Komm her! sagte. Und sie selbst war es auch, die nicht wusste, wie und warum es so war und dennoch versuchte, das, was sie spürte, zu sagen. Mal Geh!, mal Komm!.

Und sie wusste, dass das schwierig war für ihre Mitmenschen. Authentisch zu sein, war schwerer zu ertragen als nett zu sein – für sie selbst ebenso wie für die anderen. Doch sie wusste auch, dass Wirkliches nachwirkte, etwas bewirkte.

Fiktion tut weniger weh, denkt sie oft, wenn sie sich für einen Spielfilm statt für eine Doku entscheidet, für einen Roman statt für eine Biografie. Fiktion, da kannst du immer sagen: Es ist ja nur eine Geschichte.

Doch ist eine Geschichte darum weniger wahr, weil sie nicht exakt so passiert, genau so von einem andern Menschen erlebt worden ist? Trügt denn nicht auch eine Biografie, trügt nicht die Erinnerung, lüge ich mehr, lüge ich weniger, wenn ich Geh! sage statt Komm!, wenn ich Komm! nicht fühlen kann? Wenn ich nur so tue als wäre Komm! genau das, was ich will?

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Kapitel neun

Sie muss eigentlich nur kurz in die Apotheke, um ihre Handschiene abzuholen, die ihr dabei helfen soll, die Schmerzen in der Hand zu reduzieren. Und in die Bäckerei. Dieses Draußen-mit-Menschen-Sein schnell hinter sich zu bringen ist ihr Plan. Außerdem ist der Morgen eigentlich nicht so ihre Tageszeit.

Die Bäckereiverkäuferin verabschiedet sich gerade von einem alten Herrn. Es sei ihr letzter Arbeitstag heute, sagt die Frau hinter dem Tresen. Sie gehe nun in Pension!, erzählt sie ihm. Er reicht ihr die Hand, bedankt sich für alles und wünscht ihr alles Gute.

Während sie wartet, überlegt sie, ob es angemessen ist, wenn sie der Verkäuferin ebenfalls alles Gute wünscht und als sie das Brot und die Croissants bezahlt, tut sie es. Ich hoffe, das ist in Ordnung, wenn auch ich, die ich Sie kaum kenne, alles Gute für Ihre Pension wünsche, sagt sie und die Frau hinterm Tresen strahlt über das ganze Gesicht.

In der Apotheke wird sie von einer sympathischen jungen Frau bedient, die sie zur Anpassung der Orthese ins Sprechzimmer bittet. Beide sind ein bisschen überfordert von diesem Ding da im Karton und nur weil sie ein bisschen mehr Lebenserfahrung hat, weiß sie, wie das Ding wohl richtig angezogen wird. Sie gibt es aber erst zu, nachdem die Pharmaassistentin es ihr zuerst verkehrt herum anziehen will. Die Frauen lachen und am Schluss sagt sie: Jetzt haben wir beide etwas gelernt. Wieder lachen beide. Das tut gut.

Auf dem Heimweg fährt sie mit dem Fahrrad an einem Gemüsestand vorbei. Den hat sie hier noch nie gesehen. Kein Wunder, sie ist ja auch nie am Samstagmorgen im Dorf. Oh, und dann erst noch Biogemüse! Sie hat zwar schon für diese Woche eingekauft, aber weil sie auf einmal so gute Laune hat, kauft sie doch ein paar Sachen und erkundigt sich nach den Öffnungszeiten. Gute Sache!, denkt sie, da kauf ich jetzt öfters ein. Das Gemüseangebot ist breit und die Preise sind in Ordnung.

Langsam, denkt sie auf dem Rückweg, langsam werde ich wieder ein soziales Wesen. Nach den Rückzugjahren vielleicht kein schlechter Anfang.

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Nicht exklusiv, aber hoffentlich zukünftig spamfrei

Na ja … wir wissen es alle. Kaum gibt es irgendwo eine eigentlich werbefreie Fläche oder Zone, pappt jemand dort seine Werbung hin. Ob nun irgendwo in deiner Stadt, in deinem Dorf oder im Internet: Leere Flächen bleiben selten leer.

Auch hier, in diesem schönen kreativen Raum, kommt das leider vor und das macht die Betreiber:innen und uns Bloggende nicht wirklich froh. Darum hat die Instanz-Leitung beschlossen, dass neue Bloggerinnen und Blogger zwar nach wie vor herzlich willkommen sind, sich aber doch bitte vorab an eine:n der bereits hier aktiven Blogger:innen oder am besten direkt an die Instanz-Betreiber Hagen oder Felix wenden mögen, damit euch diese einen Schlüssel ins Write.Fimidiversum überreichen können.

Bleibt weg, Spammerinnen und Spammer! Seid herzlich willkommen, neue Bloggerinnen und Blogger!

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Kapitel acht

Sie stand am offenen Fenster und atmete die Nachtluft tief ein. Der Lindenblütenduft, der gestern Abend noch das ganze Quartier geflutet hatte, war heute Abend Vergangenheit. Das frische Frühlingsgrün hatte dem satten Sommergrün Platz gemacht, wie sie bei ihrem Waldspaziergang festgestellt hatte.

Ja, auch dieser Abend roch wunderbar. Würzig vom Regen, erdig, wild. Sommerlich. Sie betrauerte den Frühling, der endgültig vorbeigezogen war. Viel zu selten war sie draußen gewesen, im Wald, viel zu wenig hatte sie ihn in sich aufgenommen, aufgesogen, mit allen Sinnen genoßen.

Und überhaupt: wie schnell doch alles immer verging. Kaum hier schon weg. Die Jahreszeiten.

Am nächsten Morgen erfuhr sie, dass es in der japanischen Sprache und Philosophie für genau diese Gefühle und Gedanken einen Begriff gab. Mono no aware, 物の哀れ. Mo-nonno-awaré ... so hörte sie das Übersetzungsprogramm den Begriff sagen.

Das Schöne an diesem Begriff war, wie sie fand, die Verbindung von Schönheit und Traurigkeit, Trauer und Freude. Ganz nahe beieinander. Genauso wie sie es fühlte. Die Dankbarkeit, etwas gefühlt zu haben, das Bewusstsein um dessen Vergänglichkeit. Abschiedsschmerz. Verlustgefühle. Loslassen. Melancholie. Sehnsucht. Vorfreude. Und alles wieder von vorne. Zyklisch. Lebendig.

Die sanfte Empfindsamkeit des Unbeständigen, las sie, der Genuss einer endlichen Schönheit, eine Mischung aus Freude, Trauer und Hinnahme.

Hinnahme.

Ja, genau, das war es, das alles. Das Wissen darum, dass sie mit diesem großen Gefühl nicht allein war, machte sie froh, tat ihr gut und half ihr, die Vergänglichkeit in allem wieder ein bisschen umfassender anzunehmen. Versöhnlicher umzugehen mit dem Vergehen des Lebens. De Natur der Natur war, wie sie war.

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Quellen: 1. Japandigest und 2. oryoki.de

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Kapitel sieben

Ist Freundschaft womöglich, uns gegenseitig für unsere Ähnlichkeiten zu feiern?, fragte sie. Er nickte.

Ich habe Angst, dass mich mein Arzt insgeheim als Schwächling auslacht, weil meine Beschwerden – verglichen mit denen anderer – doch eher überschaubar sind. Meine Gelenke. Immer sind es die Gelenke, die schmerzen.

Ich weiß, sagte sie. Ich kenne das auch. Na ja, nicht mit den Gelenken. Du weißt schon.

Ja, sagte er. Ich weiß.

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Kapitel sechs

Ihre Hände halten nichts. Auch keine Versprechen. Aber sie brechen auch nichts. Dafür sind sie kalt, obwohl es Sommer ist. Das war schon immer so. Sie war schon immer eine, die oft und schnell friert.

Die neuen Sommer und das Älterwerden machen allerdings, dass sie doch hin und wieder schwitzt. Und wenn sie einmal schwitzt, dann aber richtig. Mit dem ganzen Leid, das Schwitzen mit sich bringt.

Sie hängt irgendwo zwischen Gegensätzen und Kontrasten fest und franst aus. An den Rändern ist sie fadenscheinig. Immer an den Rändern. Immer schon franste sie an den Rändern aus. Das war auch schon immer so.

Manches, das schon immer so war, möchte sie nicht mehr. Sie möchte wissen, wer sie wäre ohne all diese Immer-schon-Sos, die sich in ihrem Leben ausgebreitet haben wie Tintenflecken. (Aber wer weiß heute schon, was Tintenflecken sind? Wer schreibt denn heute noch mit Tinte?)

Wer schreibt denn heute überhaupt noch von Hand? Wer schreibt denn heute überhaupt noch? Wer schreibt denn heute? Wer schreibt? Und wozu?

Schreib mir!

Ich kann nichts versprechen, sagt sie. Ihre Hände sind kalt, als sie das sagt.

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Kapitel fünf

Dieser Moment, er hieß Gegenwart, als sie sich das erste Mal seit Ewigkeiten ganz und heil fühlte. Sie sah sich ganz, sie fühlte sich ganz, sie dachte ganz und alles, was sie ist und je war und je sein wird, war auf einen einzigen Punkt verdichtet. Dieses Jetzt; und sie war das Jetzt und sie war heil.

Es ist dieser Blick hinter den eigenen Vorhang, dieses Einswerden mit der eigenen, unendlichen Leere, mit dem, was nicht war, doch hätte sein können, wenn. Dieses Verschmelzen mit dem Schmerz, der aufhört schmerzhaft zu sein, weil er ganz Teil geworden ist von ihr, so sehr, dass nichts mehr vorsteht und bei einer zufälligen Berührung weh tun kann.

Und da hinein dieser Satz von Sophokles.

»Kinder sind der Anker im Leben der Mütter.« –Sophokles (Phädra, Fragment 612)

Und jetzt schwamm sie also wieder ohne Anker. Ohne Ufer in Sicht und auch ohne Navigationshilfe. Sie schwamm im Nebel und wusste, dass selbst ein Anker nichts helfen würde. Er würde bestenfalls ein Weiterabtreiben verhindern. Sie konnte nur warten, bis der Nebel verschwinden würde, verschwunden wäre.

Und als die Sonne durchbrach, sah sie Land. Einen Anker hatte sie noch immer nicht. Sie lenkte ihr Schiff in den Hafen, in der Hoffnung dass da jemand ist, der ihr ein Seil zuwerfen würde. Und so kam es.

Immer war da jemand gewesen, der den Seilwurf konnte. Ist das Seil womöglich der Anker von Engelsmüttern? Ist es so, dass sie – vielmehr als andere womöglich –, da sie keinen Anker mehr haben, darauf angewiesen sind, dass da immer jemand ist, der Seilwerfen kann?

Und dieses Ganz- und dieses Heilsein, ist es einer nur möglich, wenn sie vorher kaputt gegangen ist?

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Kapitel vier

Sie ist unterwegs, im Auto, und hört Musik. Sie singt mit. Jedes Stück, das sie hört, erzählt ihr eine andere Geschichte. Jede Geschichte hat eine andere Sprache. Jede Geschichte könnte ihre sein. So viele Geschichten, so viele Leben, die sie nicht gelebt hat. Alle ihre ungelebten Leben.

Über das Loslassen und Losgelassenwerden denkt sie nach und dass es besser ist, nichts gehabt zu haben als alles zu verlieren. Das Kleine ist überschaubar, das Große macht Angst. Der kleine Geldschein ist dem größeren dadurch überlegen, dass er uns keinen Mut abverlangt, ihn zu tragen. Es ist diese Art, sich selbst so klein wie möglich zusammenzukringeln um ja nicht … nein, um keinen Preis … und doch möchten wir am liebsten! Ganz groß, bitte ganz groß … nein, besser doch nicht.

Lieber nicht. Besser wieder klein zusammenkringeln. Und da ist die Sache mit dem Glück, das nicht so genau weiß, wo sie wirklich wohnt. Oder manchmal ist sie nicht da, wenn es vorbei kommt.

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Kapitel drei

Gott. Aber als Begriff. Als Synonym für Schön-wäre-es-Wenn, für Ideal, für Was-ich-mir-wünsche.

Er wechselte die Beine. Jetzt war das linke oben. Die Sonne schien und die Schattenbank bekam von rechts immer mehr Sonne ab. Auf seiner Stirn bildeten sich erste Schweißtropfen.

Einen Tag einfach nur hier sitzen, dachte er. Und das Gott ein gutes Wort sein könnte, wenn es nicht so blutbefleckt wäre.

Überhaupt. Manche Wörter.

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Kapitel zwei

Davor war es einfacher gewesen. Es war, als hätte ihn die Erkenntnis verändert. Die Erkenntnis! Wie sich das anhörte. Es war ja nun wirklich nichts Weltbewegendes. Es war ja eigentlich nur ein unerwarteter Blick hinter die Fassade gewesen, die ihn zwang, sein Verhalten zu überdenken. Na ja. Er musste sich im Grunde nicht einmal anders verhalten, nur aus anderen Gründen so verhalten, wie er sich verhielt. (Wirklich?) Na ja: vorher einfach so und jetzt bewusst. Früher, weil er allen Menschen grundsätzlich mit Respekt zu begegnen gelernt hatte, heute aus Gründen der politischen Correctness. Eigentlich egal wieso.

Nachdenklich machte ihn jetzt eigentlich vor allem eins: Warum es ihm schwerer fiel, sich aus politischen Gründen so zu verhalten, wie er sich verhielt, als wenn er es aus Einfach-so-weil-man-das-so-macht-Gründen tat. Wollte er nicht einfach alle Menschen, egal, wie sie tickten, so nehmen, wie sie sind. Ohne dass ihm das irgendwie schwerfallen sollte?

Der Wald war menschenleer. Hier war selten jemand. Die meisten bevorzugten leichter zugängliche Wege mit weniger Gestrüpp. Das gefiel ihm. Er hatte gern seine Ruhe. Seine Bank war meistens leer. Wie heute.

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